BVerfG fällt Urteil zum Notar-Höchstalter

Es ist eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für den gesamten Berufsstand: In einem historischen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die in § 47 Nr. 1 der Bundesnotarordnung (BNotO) verankerte, starre Altersgrenze für Notare von 70 Jahren für (teilweise) verfassungswidrig erklärt.

Jahrelang wurde über diese Regelung gestritten, die mittlerweile zunehmend auch viele erfahrene Notarinnen und Notare als ungerechtfertigte Altersdiskriminierung und Verletzung ihrer Berufsfreiheit empfanden. Nun hat das höchste deutsche Gericht ihnen Recht gegeben. Wir analysieren die bahnbrechende Entscheidung und beleuchten, was sie für die Notariatslandschaft in Deutschland bedeutet.

Bisher galt: Hat er das Alter von 70 Jahren erreicht, geht ein Notar in „Rente“. Sein Amt erlischt automatisch und ohne Ausnahme. Dies wurde unteranderem mit Sicherung der Rechtspflege bzw. Sorge vor nicht mehr leistungsfähigen Altnotaren einerseits und Steigerung der Attraktivität diese Berufsbildes bzw. Nachwuchsförderung andererseits begründet.

Die Argumente gegen diese Regelung waren auch von Anfang an vorhanden:

  • Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG): Warum sollte ein erfahrener, geistig und körperlich fitter Notar gezwungen werden, sein Amt aufzugeben? Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass medizinische Fortschritte und eine bewusstere Lebensweise die Lebenserwartung aller Menschen deutlich erhöht haben.
  • Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG): Eine pauschale Regelung, die sich einzig am Geburtsdatum orientiert, diskriminiert aufgrund des Alters.
  • Verlust von unschätzbarer Erfahrung: Jahrzehntelanges Wissen und die Expertise hochqualifizierter Juristen gehen dem Rechtssystem abrupt verloren. In vielen ländlichen Gegenden kommt noch der Mangel an Nachwuchs hinzu.

Der Anwaltsnotar Dietrich Hülsemann aus Dinslaken zog bis vor das Bundesverfassungsgericht, um diese Praxis zu beenden. Er wolle nicht wegen seines Alters als Notar in Rente gehen, so der 71-Jährige. 2023 war er mit seiner ersten Klage gegen die Altersgrenze bereits gescheitert. Jetzt hatte seine Verfassungsbeschwerde Erfolg und zwingt den Gesetzgeber zum Handeln.

Die Kernaussagen der Verfassungsrichter: Freiheit vor starrem System

Das Bundesverfassungsgericht befasste sich mit diesem Sachverhalt und dem aktuellen immer größer werdenden Problem der Nachwuchsförderung umfassend und holte hierzu auch umfängliche Gutachten ein. In seiner sodann ergangenen Entscheidung stellte es klar, dass der Eingriff in die durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Berufsfreiheit nicht mehr durch die bisher angeführten Gemeinwohlbelange gerechtfertigt ist.

Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die starre Notar-Altersgrenze ein unverhältnismäßiges Mittel ist. Das Ziel, eine funktionierende Rechtspflege zu sichern und dem Nachwuchs Chancen zu eröffnen, rechtfertige es nicht, kompetente und leistungsfähige Amtsträger pauschal aus dem Beruf zu drängen.

Außerdem bewertete das Gericht die Regelung als eine nicht mehr zeitgemäße Form der Altersdiskriminierung. In einer Gesellschaft des längeren Lebens und Arbeitens könne das kalendarische Alter allein kein ausreichender Grund sein, um die berufliche Existenz zu beenden. Die individuelle Leistungsfähigkeit müsse stärker berücksichtigt werden.

Der Staat, so die Richter, habe andere Möglichkeiten, die Qualität und Funktionsfähigkeit des Notariats zu sichern. Denkbar wären beispielsweise freiwillige Regelungen oder Modelle, die an die individuelle gesundheitliche Eignung anknüpfen, anstatt eine ganze Berufsgruppe unter einen Generalverdacht des altersbedingten Leistungsabfalls zu stellen.

Herauszuheben ist an dieser Stelle jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht dies nur auf das sog. Anwaltsnotariat bezieht – also die Gebiete in Deutschland, in denen die Notare zugleich auch Rechtsanwälte sind/sein müssen. Notare, die ausschließlich das Notaramt begleiten und gerade nicht zugleich als Rechtsanwälte zugelassen sein dürfen, sind von dieser Entscheidung ausgenommen. D. h. bei ihnen gilt weiterhin die starre Altersgrenze. Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Unterscheidung zwischen Anwalts- und Nurnotariat mit der (derzeit noch) hohen Bewerberzahl bei den hauptberuflichen Notaren und dem Umstand, dass ein neuer Nurnotar tatsächlich die Amtsgeschäfte und Geschäftsstelle eines ausscheidenden Notars übernimmt. Dies verhält sich beim Anwaltsnotariat gerade nicht so.

Was bedeutet die Entscheidung konkret für Notare?

Die Entscheidung aus Karlsruhe wirbelt die bisherige Planungssicherheit bei den Anwaltsnotaren durcheinander und eröffnet völlig neue Perspektiven:

Um Chaos zu vermeiden, bleibt die Altersgrenze auch für Anwaltsnotare bis zum 30. Juni 2026 bestehen. Nun ist der Gesetzgeber am Zug: Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, eine Neuregelung zu schaffen, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Es wird eine Übergangsfrist geben, innerhalb derer ein neues Gesetz verabschiedet werden muss. Diese Übergangsfrist endet eben am 30. Juni kommenden Jahres.

Bis zur Neuregelung entsteht eine Phase der Unsicherheit. Wie wird die Nachfolgeplanung künftig aussehen? Werden Notare ihr Amt auf Antrag verlängern können? Die Diskussion über die Zukunft des Notariats ist neu eröffnet. Eines ist jedoch klar: Die erzwungene Pensionierung mit 70 gehört – zumindest teilweise – der Vergangenheit an.

Unser Fazit zum Urteil

Diese wegweisende Entscheidung ist ein Sieg für die individuelle Freiheit und eine Anerkennung der Lebensleistung erfahrener Notarinnen und Notare. Sie modernisiert das Amtsverständnis und passt es an die gesellschaftliche Realität an.

In unserem früheren Beitrag zur Altersgrenze für Notare haben wir die damalige Rechtslage und die Argumente für und wider die starre Grenze ausführlich dargelegt. Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellt diese Debatte auf den Kopf und läutet ein neues Kapitel für den Berufsstand ein. Weitere Informationen zum Urteil finden Sie auch in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts.

Die kommenden Monate werden zeigen, wie der Gesetzgeber reagiert. Wir werden die Entwicklungen für Sie genau beobachten.